Die nationalsozialistischen Haftstätten und Todeslager
Margers Vestermanis
Auch ein oberflächlicher Blick auf die schematische Übersichtskarte der
nationalsozialistischen Konzentrationslager würde fiir die Feststellung
geniigen, daß das Lagernetz östlich der Grenze des sogenannten »Gene-
ralgouvernements« (GG) weniger dicht wird. Je weiter man in Richtung
der deutsch-sowjetischen Front im Osten sucht, desto seltener werden
die eingezeichneten Lager. So bestanden zum Beispiel in einem Groß-
raum - dem »Reichskommissariat für das Ostland« (RKO) - das immer-
hin das ansehnliche Territorium des ganzen Baltikums und einen großen
Teil Weißrußlands umfaßte, bloß vier Konzentrationslager im engeren
Sinne: Kauen (Litauen), Riga/Kaiserwald (Lettland), Klooga und Vaivara
(Estland), die über den SS-Wirtschafter des Höheren SS- und Polizei-
führers (HSSPF) Ostland/Rußland-Nord der Kontrolle und Führung
des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes (WVHA) unterstellt waren.
Aber auch diese wenigen Konzentrationslager entstanden erst im dritten
Jahr der deutschen Besatzung. Das soll nun beileibe keinen zu dem Fehl-
nationalsozialistischen Konzentrationslager würde fiir die Feststellung
geniigen, daß das Lagernetz östlich der Grenze des sogenannten »Gene-
ralgouvernements« (GG) weniger dicht wird. Je weiter man in Richtung
der deutsch-sowjetischen Front im Osten sucht, desto seltener werden
die eingezeichneten Lager. So bestanden zum Beispiel in einem Groß-
raum - dem »Reichskommissariat für das Ostland« (RKO) - das immer-
hin das ansehnliche Territorium des ganzen Baltikums und einen großen
Teil Weißrußlands umfaßte, bloß vier Konzentrationslager im engeren
Sinne: Kauen (Litauen), Riga/Kaiserwald (Lettland), Klooga und Vaivara
(Estland), die über den SS-Wirtschafter des Höheren SS- und Polizei-
führers (HSSPF) Ostland/Rußland-Nord der Kontrolle und Führung
des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes (WVHA) unterstellt waren.
Aber auch diese wenigen Konzentrationslager entstanden erst im dritten
Jahr der deutschen Besatzung. Das soll nun beileibe keinen zu dem Fehl-
Schluß verleiten, es hätten im Umfeld dieser vier als Hauptlager be-
zeichneten Konzentrationslager keine anderen Haftstätten bestanden,
die nicht schon ab 1941 der Verwirklichung der nationalsozialistischen
Terrorpolitik gedient hätten. Aber nähere Angaben sind in der Fachlite-
ratur spärlich, die »Lagerlandschaft« im Osten ist bis auf den heutigen
Tag noch in großem Maße »terra incognita«.
zeichneten Konzentrationslager keine anderen Haftstätten bestanden,
die nicht schon ab 1941 der Verwirklichung der nationalsozialistischen
Terrorpolitik gedient hätten. Aber nähere Angaben sind in der Fachlite-
ratur spärlich, die »Lagerlandschaft« im Osten ist bis auf den heutigen
Tag noch in großem Maße »terra incognita«.
Die hier vorgelegte Studie soll dieses Informationsdefizit wenigstens
zum Teil beheben und das Lagersystem im lettischen Raum darstellen,
der als »Generalkommissariat Lettland« dem RKO einverleibt war. In der
hier vorgelegten Studie sind breitere wissenschaftliche Forschungspro-
bleme bewußt ausgeklammert. Es geht um Primäres: um eine erste Be-
standsaufnahme aller Haftstätten, die eine allgemeine Vorstellung über
die »Lagerlandschaft« im besetzten Lettland vermitteln sollen.
zum Teil beheben und das Lagersystem im lettischen Raum darstellen,
der als »Generalkommissariat Lettland« dem RKO einverleibt war. In der
hier vorgelegten Studie sind breitere wissenschaftliche Forschungspro-
bleme bewußt ausgeklammert. Es geht um Primäres: um eine erste Be-
standsaufnahme aller Haftstätten, die eine allgemeine Vorstellung über
die »Lagerlandschaft« im besetzten Lettland vermitteln sollen.
Die Studie stützt sich überwiegend auf Materialien der sowjetischen
sogenannten »Außerordentlichen Kommission«1, die einen sehr umfang-
reichen Aktenbestand im Historischen Staatsarchiv Lettlands in Riga bil-
den. Die Benutzung des Quellenmaterials der »Außerordentlichen Kom-
mission« (AK) gebietet jedoch größte Umsicht, besonders der offiziellen Zusammenfassungen, die unverhüllt tendenziös und propagandistisch
ausgerichtet sind. Einer höchst kritischen Überprüfung bedürfen alle Zah-
lenangaben, da sie allzu »großzügig« nach oben abgerundet wurden. So
sollen laut Hauptbericht der AK auf lettischem Territorium von den Nazis
46 bis 48 Gefängnisse, 23 Konzentrationslager und 18 Ghettos eingerichtet
worden sein, in denen sich angeblich nicht weniger als 536 400 Inhaftierte
befunden hätten2. Es sollen auch genau 313 798 Zivilbewohner ermordet
worden sein (in die Opferzahl sind auch die aus dem Westen nach Lett-
land deportierten Juden und die von der Wehrmacht zwangsevakuierte
russische Bevölkerung einbezogen)'. Auf lettischem Territorium sollen sich
41 Kriegsgefangenenlager mit 851750 Insassen befunden haben, von denen
330 032 ums Leben gekommen sein sollen4. Zu diesem Zahlenmaterial soll
im weiteren Stellung genommen werden. Viel größeren Wert als die Zu-
sammenfassungen hat für die Forschung das primäre Material der AK» die
direkten Zeugenaussagen und Berichte, doch müssen wir uns darüber im
klaren sein, daß auch diese Zeugnisse von den Erwartungen oder gar
Forderungen derjenigen, die die Fragen stellten und die Berichte zu-
sammentrugen, zweifelsohne direkt oder indirekt beeinflußt worden sind.
sogenannten »Außerordentlichen Kommission«1, die einen sehr umfang-
reichen Aktenbestand im Historischen Staatsarchiv Lettlands in Riga bil-
den. Die Benutzung des Quellenmaterials der »Außerordentlichen Kom-
mission« (AK) gebietet jedoch größte Umsicht, besonders der offiziellen Zusammenfassungen, die unverhüllt tendenziös und propagandistisch
ausgerichtet sind. Einer höchst kritischen Überprüfung bedürfen alle Zah-
lenangaben, da sie allzu »großzügig« nach oben abgerundet wurden. So
sollen laut Hauptbericht der AK auf lettischem Territorium von den Nazis
46 bis 48 Gefängnisse, 23 Konzentrationslager und 18 Ghettos eingerichtet
worden sein, in denen sich angeblich nicht weniger als 536 400 Inhaftierte
befunden hätten2. Es sollen auch genau 313 798 Zivilbewohner ermordet
worden sein (in die Opferzahl sind auch die aus dem Westen nach Lett-
land deportierten Juden und die von der Wehrmacht zwangsevakuierte
russische Bevölkerung einbezogen)'. Auf lettischem Territorium sollen sich
41 Kriegsgefangenenlager mit 851750 Insassen befunden haben, von denen
330 032 ums Leben gekommen sein sollen4. Zu diesem Zahlenmaterial soll
im weiteren Stellung genommen werden. Viel größeren Wert als die Zu-
sammenfassungen hat für die Forschung das primäre Material der AK» die
direkten Zeugenaussagen und Berichte, doch müssen wir uns darüber im
klaren sein, daß auch diese Zeugnisse von den Erwartungen oder gar
Forderungen derjenigen, die die Fragen stellten und die Berichte zu-
sammentrugen, zweifelsohne direkt oder indirekt beeinflußt worden sind.
Bei der kritischen Auswertung der Akten der AK kamen dem Verfasser
persönliche Lagererfahrungen zustatten sowie Angaben, die aus einem
jahrzehntelangen Umgang mit jüdischen Oberlebenden der Shoa und
ehemaligen lettischen politischen Häftlingen stammen. Bei den damals
in Lettland herrschenden politischen Zuständen konnten die Angaben
nicht unter Beachtung wissenschaftlicher Formalia aufgeschrieben wer-
den und sie fanden ihren Niederschlag nur in verschlüsselten Neben-
bemerkungen. Deswegen sind sie in der vorliegenden Studie nicht eigens
vermerkt worden. Publizierte Zeugenaussagen sind hingegen im Quel-
lennachweis angezeigt.
persönliche Lagererfahrungen zustatten sowie Angaben, die aus einem
jahrzehntelangen Umgang mit jüdischen Oberlebenden der Shoa und
ehemaligen lettischen politischen Häftlingen stammen. Bei den damals
in Lettland herrschenden politischen Zuständen konnten die Angaben
nicht unter Beachtung wissenschaftlicher Formalia aufgeschrieben wer-
den und sie fanden ihren Niederschlag nur in verschlüsselten Neben-
bemerkungen. Deswegen sind sie in der vorliegenden Studie nicht eigens
vermerkt worden. Publizierte Zeugenaussagen sind hingegen im Quel-
lennachweis angezeigt.
1. Gefängnisse
Laut Angaben einer Festschrift des kriminalpolizeilichen Departements
Lettlands zum Anlaß des zwanzigjährigen Jubiläums der lettischen staat-
lichen Unabhängigkeit bestanden in Lettland kurz vor dem Zweiten
Weltkrieg 15 größere und kleinere Gefängnisse und ein Zwangsarbeits-
lager (Steinbruch in Kalnciems) mit einer gemeinsamen Aufnahmefähig-
keit für circa 4 600 Häftlinge. Die größte Haftstättc Lettlands - das Ri-
gaer Zentralgefängnis, das 1902 bis 1905 erbaut worden war - war für
] 360 Häftlinge vorgesehen. Während der Monate des »roten Terrors«
1919 und des darauf folgenden »weißen Terrors«« waren im Zentralgefäng-
Lettlands zum Anlaß des zwanzigjährigen Jubiläums der lettischen staat-
lichen Unabhängigkeit bestanden in Lettland kurz vor dem Zweiten
Weltkrieg 15 größere und kleinere Gefängnisse und ein Zwangsarbeits-
lager (Steinbruch in Kalnciems) mit einer gemeinsamen Aufnahmefähig-
keit für circa 4 600 Häftlinge. Die größte Haftstättc Lettlands - das Ri-
gaer Zentralgefängnis, das 1902 bis 1905 erbaut worden war - war für
] 360 Häftlinge vorgesehen. Während der Monate des »roten Terrors«
1919 und des darauf folgenden »weißen Terrors«« waren im Zentralgefäng-
nis über 3 000 Inhaftierte zusammengepfercht worden. Außer den er-
wähnten Haftstätten befanden sich noch «Arrestlokale« bei den Polizei-
revieren, größere Hafträume auf dem Polizeipräsidium (lettisch: Präfek-
tur) in Riga. Das Militär hatte eigene Gefängnisse, das größte - in der Zi-
tadelle - am Ufer der Düna in Riga5. Die Gebäude des Gefängniswesens
blieben im wesentlichen auch im ersten Jahr der sowjetischen Herrschaft
(1940 bis 1941) unverändert, da die Opfer der Massenverhaftungen durch
die Tscheka überwiegend in die sibirischen Lager abgeschoben wurden.
Wegen des fluchtartigen Rückzuges der Roten Armee aus Lettland Ende
Juni/Anfang Juli 1941 kam es auch nicht zu Zerstörungen. Somit bekam
die deutsche Okkupationsmacht dieses »Erbe« in unbeschädigtem Zu-
stand in die Hände und konnte es gemäß ihren Absichten verwenden.
wähnten Haftstätten befanden sich noch «Arrestlokale« bei den Polizei-
revieren, größere Hafträume auf dem Polizeipräsidium (lettisch: Präfek-
tur) in Riga. Das Militär hatte eigene Gefängnisse, das größte - in der Zi-
tadelle - am Ufer der Düna in Riga5. Die Gebäude des Gefängniswesens
blieben im wesentlichen auch im ersten Jahr der sowjetischen Herrschaft
(1940 bis 1941) unverändert, da die Opfer der Massenverhaftungen durch
die Tscheka überwiegend in die sibirischen Lager abgeschoben wurden.
Wegen des fluchtartigen Rückzuges der Roten Armee aus Lettland Ende
Juni/Anfang Juli 1941 kam es auch nicht zu Zerstörungen. Somit bekam
die deutsche Okkupationsmacht dieses »Erbe« in unbeschädigtem Zu-
stand in die Hände und konnte es gemäß ihren Absichten verwenden.
Zum Spezifikum der Situation in Lettland während der ersten Wo-
chen der deutschen Besatzung gehörte die Aktivität des einheimischen
»Selbstschutzes«. Die sowjetischen Terrormaßnahmen, besonders die
Massendeportationen vom 14. Juni 1941, hatten seit Kriegsanfang anti-
sowjetische Guerilla-Aktivitäten aufflammen lassen in der Form eines zü-
gellosen Gegenterrors, einer internen Abrechnung mit Sowjetaktivisten
und potentiellen Sowjetsympathisanten. Dem folgte dann nach dem
deutschen Einmarsch die Beteiligung an der Masscnvcrnichtung der
jüdischen Bevölkerung. Nach Schätzungen der Beamten der deutschen
Zivilverwaltung sollen beim lettischen Selbstschutz 12 000 Mann unter
Waffen gestanden haben, die in den ersten Wochen der nationalsozialisti-
schen Besetzung 7 144 lettische Zivilisten verhaftet und von dieser Zahl
nicht weniger als 800 erschossen hätten6. Nach Aussage des ehemaligen
HSSPF Ostland, SS-Obergruppenführer Friedrich Jcckcln, vor dem so-
wjetischen Kriegstribunal in Riga (1946) sollen aus politischen Gründen
chen der deutschen Besatzung gehörte die Aktivität des einheimischen
»Selbstschutzes«. Die sowjetischen Terrormaßnahmen, besonders die
Massendeportationen vom 14. Juni 1941, hatten seit Kriegsanfang anti-
sowjetische Guerilla-Aktivitäten aufflammen lassen in der Form eines zü-
gellosen Gegenterrors, einer internen Abrechnung mit Sowjetaktivisten
und potentiellen Sowjetsympathisanten. Dem folgte dann nach dem
deutschen Einmarsch die Beteiligung an der Masscnvcrnichtung der
jüdischen Bevölkerung. Nach Schätzungen der Beamten der deutschen
Zivilverwaltung sollen beim lettischen Selbstschutz 12 000 Mann unter
Waffen gestanden haben, die in den ersten Wochen der nationalsozialisti-
schen Besetzung 7 144 lettische Zivilisten verhaftet und von dieser Zahl
nicht weniger als 800 erschossen hätten6. Nach Aussage des ehemaligen
HSSPF Ostland, SS-Obergruppenführer Friedrich Jcckcln, vor dem so-
wjetischen Kriegstribunal in Riga (1946) sollen aus politischen Gründen
circa 20 000 Einwohner der besetzten baltischen Republiken verhaftet
worden sein7, der sowjetische Historiker Janis Dzintars hat die Zahl der
allein in Riga Verhafteten mit 12 000 und die Zahl der in die Konzentra-
tionslager Eingewiesenen und später nach Deutschland Deportierten mit
15 000 berechnet". Wenn wir diese Zahlen, die offensichtlich nach oben
abgerundet sind, auch kritisch bewerten müssen, so kommen sie meines
Erachtens der Wirklichkeit nahe. Im übrigen wird die Zahl der Opfer des
politischen Terrors im ersten Halbjahr 1941 von der lettischen nationalen
bürgerlichen Historiographie ähnlich auf 12 000 geschätzt9.
worden sein7, der sowjetische Historiker Janis Dzintars hat die Zahl der
allein in Riga Verhafteten mit 12 000 und die Zahl der in die Konzentra-
tionslager Eingewiesenen und später nach Deutschland Deportierten mit
15 000 berechnet". Wenn wir diese Zahlen, die offensichtlich nach oben
abgerundet sind, auch kritisch bewerten müssen, so kommen sie meines
Erachtens der Wirklichkeit nahe. Im übrigen wird die Zahl der Opfer des
politischen Terrors im ersten Halbjahr 1941 von der lettischen nationalen
bürgerlichen Historiographie ähnlich auf 12 000 geschätzt9.
Wie eingangs erwähnt, hatte die sowjetische »Außerordentliche Kom-
mission« im besetzten Lettland 48 (!) Gefängnisse festgestellt - eine un-
mögliche Zahl, da zu den schon bestehenden 15 Gefängnissen keine
neuen hinzukamen (außer einer baulichen Erweiterung in Dünaburg).
mission« im besetzten Lettland 48 (!) Gefängnisse festgestellt - eine un-
mögliche Zahl, da zu den schon bestehenden 15 Gefängnissen keine
neuen hinzukamen (außer einer baulichen Erweiterung in Dünaburg).
Viel näher an der Wahrheit ist Jakob T. Ozols, der von »16 überfüllten
Gefängnissen«10 berichtet. Die schon in den ersten Stunden der deut-
schen Besatzung einsetzende Welle chaotischer Massenverhaftungen von
»Kommunisten« und Juden erzeugte schon nach einigen Tagen akuten
Raummangel, dem man durch systematische »Ausräumungen« - Mas-
senerschießungen - abzuhelfen suchte. So meldete das Einsatzkomman-
do (EK) 2 am 16. Juli 1941 die Erschießung von 1 300 Juden sowie die
Inhaftierung von 2 000 Juden und 600 Kommunisten mit der Hinzu-
fügung: »Die Gefängnisse werden in den nächsten Tagen vollends ge-
räumt.«" Das EK ib konnte aus Dünaburg melden, daß es von den 1 224
Personen, die die örtliche lettische Hilfspolizei unter Mitwirkung des
Einsatzkommandos verhaftet hatte, zwischen dem 7. und dem 10. Juli
bereits 1 150 Juden erschossen habe12. Die Massenerschießungen der
Häftlinge hielten nur mühsam Schritt mit der ansteigenden Welle von
Verhaftungen: Am 10. September 1941 meldete SS-Brigadefiihrer Walter
Stahlecker, Chef der Einsatzgruppe A, daß die Gefangnisse vollständig
überfüllt seien und darum die »Räumung der Gefängnisse«" laufend ge-
schehe. In Riga gab es zum Zeitpunkt dieser Meldung 3 325 politische
Häftlinge, am 15. Oktober 1941 3 509'4, am 30. November 1941 3 325''. Im
ganzen Bezirk des »Generalkommissariats Lettland« waren zum 15. Ok-
tober 1941 7 064 politische Gefangene inhaftiert1 , am 30. November 1941
Gefängnissen«10 berichtet. Die schon in den ersten Stunden der deut-
schen Besatzung einsetzende Welle chaotischer Massenverhaftungen von
»Kommunisten« und Juden erzeugte schon nach einigen Tagen akuten
Raummangel, dem man durch systematische »Ausräumungen« - Mas-
senerschießungen - abzuhelfen suchte. So meldete das Einsatzkomman-
do (EK) 2 am 16. Juli 1941 die Erschießung von 1 300 Juden sowie die
Inhaftierung von 2 000 Juden und 600 Kommunisten mit der Hinzu-
fügung: »Die Gefängnisse werden in den nächsten Tagen vollends ge-
räumt.«" Das EK ib konnte aus Dünaburg melden, daß es von den 1 224
Personen, die die örtliche lettische Hilfspolizei unter Mitwirkung des
Einsatzkommandos verhaftet hatte, zwischen dem 7. und dem 10. Juli
bereits 1 150 Juden erschossen habe12. Die Massenerschießungen der
Häftlinge hielten nur mühsam Schritt mit der ansteigenden Welle von
Verhaftungen: Am 10. September 1941 meldete SS-Brigadefiihrer Walter
Stahlecker, Chef der Einsatzgruppe A, daß die Gefangnisse vollständig
überfüllt seien und darum die »Räumung der Gefängnisse«" laufend ge-
schehe. In Riga gab es zum Zeitpunkt dieser Meldung 3 325 politische
Häftlinge, am 15. Oktober 1941 3 509'4, am 30. November 1941 3 325''. Im
ganzen Bezirk des »Generalkommissariats Lettland« waren zum 15. Ok-
tober 1941 7 064 politische Gefangene inhaftiert1 , am 30. November 1941
aber noch immer 6 Hierauf reagierte ein hoher Beamter der
Hauptabteilung Politik des RKO mit einem Aktenvermerk, in dem er die
Liquidierung von Kommunisten und Juden forderte. Trotz grassierender
Typhus-Epidemie, Massensterben und seit Dezember 1941 verstärkt
durchgeführten Exekutionen in den Haftstätten, nahmen die Beschwer-
den der Behörden über Raummangel in den Gefängnissen kein Ende.
Der für das Gebiet Lettgallen zuständige Gebietskommissar in Diina-
burg bekundete im Lagebericht vom 12. Dezember 1941 seine Absicht,
diesem Zustand schnellstens durch Neubauten abzuhelfen: in Dünaburg
sollte ein Konzentrationslagerneubau errichtet werden, in Abrene ein
neues Gefängnis, in Rositten (Rezekne) und Ludsen (I.udza) sollten Er-
weiterungsbauten unternommen werden'8. Die Gesamtzahl der politi-
schen Häftlinge und Opfer des Terrors im deutsch besetzten Lettland 1941
bis 1945 ist noch nie wissenschaftlich korrekt erforscht worden. Die von
der sowjetischen AK angegebene Z1I1I der Exekutierten — 10 000 Opfer
[!] allein im Rigaer Zentralgefängnis für die Zeit von Juli 1941 bis Ok-
tober 1944 - ist bestimmt um einige lausende zu hoch und stürzt sich
überwiegend auf Aussagen ehemaliger Inhaftierter'9, da Dokumente nur
fragmentarisch vorhanden sind. Für das Halbjahr 1941 (Juli bis Dezem-
Liquidierung von Kommunisten und Juden forderte. Trotz grassierender
Typhus-Epidemie, Massensterben und seit Dezember 1941 verstärkt
durchgeführten Exekutionen in den Haftstätten, nahmen die Beschwer-
den der Behörden über Raummangel in den Gefängnissen kein Ende.
Der für das Gebiet Lettgallen zuständige Gebietskommissar in Diina-
burg bekundete im Lagebericht vom 12. Dezember 1941 seine Absicht,
diesem Zustand schnellstens durch Neubauten abzuhelfen: in Dünaburg
sollte ein Konzentrationslagerneubau errichtet werden, in Abrene ein
neues Gefängnis, in Rositten (Rezekne) und Ludsen (I.udza) sollten Er-
weiterungsbauten unternommen werden'8. Die Gesamtzahl der politi-
schen Häftlinge und Opfer des Terrors im deutsch besetzten Lettland 1941
bis 1945 ist noch nie wissenschaftlich korrekt erforscht worden. Die von
der sowjetischen AK angegebene Z1I1I der Exekutierten — 10 000 Opfer
[!] allein im Rigaer Zentralgefängnis für die Zeit von Juli 1941 bis Ok-
tober 1944 - ist bestimmt um einige lausende zu hoch und stürzt sich
überwiegend auf Aussagen ehemaliger Inhaftierter'9, da Dokumente nur
fragmentarisch vorhanden sind. Für das Halbjahr 1941 (Juli bis Dezem-
(476-477)
- in Postenden (Pastende), Kreis l'alsen, bestand ein EG des Gefängnis-
ses Talsen vom Sommer bis Herbst 1941, danach wurden die Häftlinge
nach Altmokken überfuhrt'36;
- in Kalkune, Kreis Dünaburg, bestand ein Lager bei der örtlichen Zie-
gelbrennerei37;
gelbrennerei37;
- in Schwanenburg (Gulbene) befand sich laut Akten ein »Arbeitslager
für politische Häftlinge«, das am 1. Oktober 1941 mit 370 Häftlingen
belegt war38;
für politische Häftlinge«, das am 1. Oktober 1941 mit 370 Häftlingen
belegt war38;
- in Nitsgalen (Nicgale), Kreis Dünaburg (Daugavpils), wurde ein
Zwangsarbeitslager von der »Kommission Nordmark« im März 1942 für
»Vertragsbrüchige« Zwangsarbeiter gegründet. Da der Sicherheitsdienst
der SS (SD) keine Gebäude zur Verfügung stellen konnte, wurde be-
helfsweise ein Bauzug der Baugruppe Giessler mit Stacheldraht umge-
ben und auf diese Weise ein l.ager errichtet. Die »Vertragsbrüchigen«
wurden in einem Schnellverfahren zu sechs Wochen Schwerstarbeit ver-
urteilt und beim Streckenbau von der Baugruppe Giessler beschäftigt39.
Zwangsarbeitslager von der »Kommission Nordmark« im März 1942 für
»Vertragsbrüchige« Zwangsarbeiter gegründet. Da der Sicherheitsdienst
der SS (SD) keine Gebäude zur Verfügung stellen konnte, wurde be-
helfsweise ein Bauzug der Baugruppe Giessler mit Stacheldraht umge-
ben und auf diese Weise ein l.ager errichtet. Die »Vertragsbrüchigen«
wurden in einem Schnellverfahren zu sechs Wochen Schwerstarbeit ver-
urteilt und beim Streckenbau von der Baugruppe Giessler beschäftigt39.
1942 und 1943 wurden einige Ersatzgefängnisse/Lager aufgelöst, während
an anderen Orten neue Lager gegründet wurden. Nach einer Übersicht
der »Ersarzgcfängnissc Verwaltung« vom 15. März 1943 befanden sich in
verschiedenen »Ersatzgefangnissen« 2 611 Männer und 385 Frauen, insge-
samt 2 996 Häftlinge; und zwar in Riga 1 978, in Wolmar 417, in Goldin-
gen 255, in Abrene 106 und in Mitau 24040.
an anderen Orten neue Lager gegründet wurden. Nach einer Übersicht
der »Ersarzgcfängnissc Verwaltung« vom 15. März 1943 befanden sich in
verschiedenen »Ersatzgefangnissen« 2 611 Männer und 385 Frauen, insge-
samt 2 996 Häftlinge; und zwar in Riga 1 978, in Wolmar 417, in Goldin-
gen 255, in Abrene 106 und in Mitau 24040.
Das größte Lager in Lettland war das 18 km von Riga entfernt gelegene
Salaspils, wohin ein großer Teil der Insassen der »Ersatzgefängnisse« ab-
geschoben wurde. Vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin
ausdrücklich nur als »erweitertes Polizeigefängnis« akzeptiert und formal
als »Arbeitserziehungslager« bezeichnet, war es praktisch jedoch ein dem
Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD Lettlands unterstelltes
Konzentrationslager41. Dieser Umstand wurde auch von Himmler aner-
kannt42.
Salaspils, wohin ein großer Teil der Insassen der »Ersatzgefängnisse« ab-
geschoben wurde. Vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin
ausdrücklich nur als »erweitertes Polizeigefängnis« akzeptiert und formal
als »Arbeitserziehungslager« bezeichnet, war es praktisch jedoch ein dem
Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD Lettlands unterstelltes
Konzentrationslager41. Dieser Umstand wurde auch von Himmler aner-
kannt42.
Mitte Dezember 1941 wurde mit dem Bau der ersten Lagerbaracken
begonnen. In der Anfangsphase (bis Frühjahr 194z) war Salaspils ein To-
deslager für männliche »Reichsjuden«, die das Lager autbauen sollten.
Am 30. Dezember 1941 befanden sich dort 1 000 Juden aus dem Reich45,
später gab es Schärzungen zufolge bis etwa 5 000 Insassen. Bis Mai 1942
wurden fünf Baracken aufgestellt. In vier Baracken waren jeweils bis zu
400 Juden zusammengepfercht, in einer Baracke 200 lettische politische
Häftlinge44. Hans Baermann, der am 2. August 1942 aus Salaspils ins
Rigaer Ghetto überfuhrt wurde, gab an, daß insgesamt 192 jüdische
Männer das schreckliche Mordregime und die unmenschlichen Zustän-
begonnen. In der Anfangsphase (bis Frühjahr 194z) war Salaspils ein To-
deslager für männliche »Reichsjuden«, die das Lager autbauen sollten.
Am 30. Dezember 1941 befanden sich dort 1 000 Juden aus dem Reich45,
später gab es Schärzungen zufolge bis etwa 5 000 Insassen. Bis Mai 1942
wurden fünf Baracken aufgestellt. In vier Baracken waren jeweils bis zu
400 Juden zusammengepfercht, in einer Baracke 200 lettische politische
Häftlinge44. Hans Baermann, der am 2. August 1942 aus Salaspils ins
Rigaer Ghetto überfuhrt wurde, gab an, daß insgesamt 192 jüdische
Männer das schreckliche Mordregime und die unmenschlichen Zustän-
de hatten überleben können. Der größte Teil dieser Männer war jedoch
kaum mehr lebensfähig".
kaum mehr lebensfähig".
Die zweite Phase in der Entwicklung des Lagers Salaspils begann mit
dem 7. Mai 1942, als dort die ersten lettischen Häftlinge untergebracht
wurden, denen am 18. Mai die nächste Gruppe von 200 Häftlingen folg-
te46'. Im Laufe des Jahres stieg die Zahl auf 1 000 Häftlinge47, die sich
dann noch einmal um ein Mehrfaches vergrößerte, als Salaspils im Som-
mer 1943 ein Durchgangslager für verhaftete »partisanenverdächtige« Fa-
milien aus Lettgallen und Weißrußland, aber auch aus den Gebieten Le-
ningrad, Pskow, Nowgorod, Welikije-Luki und Kalinin wurde. Kinder
bis Fünf Jahre wurden den Eltern entrissen und in einer eigenen Baracke
untergebracht, wo mehrere hundert eines elenden Todes starben. Ab 1943
wurde in Salaspils auch der Strafvollzug für fahnenflüchtige lettische
Militärs durchgeführt. Die Höchstzahl der in Salaspils Inhaftierten soll
25 000 erreicht haben, die in 45 Baracken untergebracht waren48.
dem 7. Mai 1942, als dort die ersten lettischen Häftlinge untergebracht
wurden, denen am 18. Mai die nächste Gruppe von 200 Häftlingen folg-
te46'. Im Laufe des Jahres stieg die Zahl auf 1 000 Häftlinge47, die sich
dann noch einmal um ein Mehrfaches vergrößerte, als Salaspils im Som-
mer 1943 ein Durchgangslager für verhaftete »partisanenverdächtige« Fa-
milien aus Lettgallen und Weißrußland, aber auch aus den Gebieten Le-
ningrad, Pskow, Nowgorod, Welikije-Luki und Kalinin wurde. Kinder
bis Fünf Jahre wurden den Eltern entrissen und in einer eigenen Baracke
untergebracht, wo mehrere hundert eines elenden Todes starben. Ab 1943
wurde in Salaspils auch der Strafvollzug für fahnenflüchtige lettische
Militärs durchgeführt. Die Höchstzahl der in Salaspils Inhaftierten soll
25 000 erreicht haben, die in 45 Baracken untergebracht waren48.
Salaspils besaß verschiedene Nebenlager: im Steinbruch der Zement-
fabrik in Sauriesi, in der Torffabrik Salaspils und auf dem Flugplatz Spil-
ve in Riga. Kommandant des Lagers (gleichzeitig auch Kommandant des
Ghettos Riga) war SS-Obersturmbannführer Kurt Krause. Das Lager
bestand bis Ende Sommer 1944, als die Häftlinge in das Konzentrations-
lager Stutthof verschleppt wurden. Die Lagerbaracken wurden am
29. September 1944 von den SS-Leuten der Laeerfiihrung vernichtet49.
fabrik in Sauriesi, in der Torffabrik Salaspils und auf dem Flugplatz Spil-
ve in Riga. Kommandant des Lagers (gleichzeitig auch Kommandant des
Ghettos Riga) war SS-Obersturmbannführer Kurt Krause. Das Lager
bestand bis Ende Sommer 1944, als die Häftlinge in das Konzentrations-
lager Stutthof verschleppt wurden. Die Lagerbaracken wurden am
29. September 1944 von den SS-Leuten der Laeerfiihrung vernichtet49.
Nach sowjetischen Angaben sollen im besetzten Lettland 23 Konzen-
trationslager bestanden haben. In der Historiographie der lettischen
Diaspora im Westen ist hingegen von »5 neu errichteten Konzentrations-
lagern«50 die Rede. In unserer Studie sind es zwölf regionale Lager, das 13.
ist das zentrale Sammellager Salaspils mit seinen Nebenlagern - das größ-
te Lager für politische Zivilgefangene im Baltikum.
trationslager bestanden haben. In der Historiographie der lettischen
Diaspora im Westen ist hingegen von »5 neu errichteten Konzentrations-
lagern«50 die Rede. In unserer Studie sind es zwölf regionale Lager, das 13.
ist das zentrale Sammellager Salaspils mit seinen Nebenlagern - das größ-
te Lager für politische Zivilgefangene im Baltikum.
Nach Angaben des Arbeitsamtes des Generalkommissariats in Riga
sollen Ende 1942 insgesamt 20 872 Personen in verschiedenen Lagern
(ohne Ghettos und Kriegsgefangenenlager und Gefängnisse) inhaftiert
gewesen sein". 1943 bis 1944 mit der Verstärkung verschiedener Formen
des Widerstandes und besonders nach der Überführung der »Partisanen-
verdächtigen« nach Salaspils, wird die Gesamtzahl der Lagerinsassen er-
heblich höher gewesen sein. Die »Partisanenverdächtigen« wurden schon
1943 nach Deutschland deportiert. Im Sommer 1944 kamen auch die let-
tischen politischen Häftlinge in das Konzentrationslager Stutthof und
von dort in andere Lager. Es handelte sich um circa 15 000 lettische poli-
tische Häftlinge, von denen ein großer Teil ums Leben gekommen ist.
sollen Ende 1942 insgesamt 20 872 Personen in verschiedenen Lagern
(ohne Ghettos und Kriegsgefangenenlager und Gefängnisse) inhaftiert
gewesen sein". 1943 bis 1944 mit der Verstärkung verschiedener Formen
des Widerstandes und besonders nach der Überführung der »Partisanen-
verdächtigen« nach Salaspils, wird die Gesamtzahl der Lagerinsassen er-
heblich höher gewesen sein. Die »Partisanenverdächtigen« wurden schon
1943 nach Deutschland deportiert. Im Sommer 1944 kamen auch die let-
tischen politischen Häftlinge in das Konzentrationslager Stutthof und
von dort in andere Lager. Es handelte sich um circa 15 000 lettische poli-
tische Häftlinge, von denen ein großer Teil ums Leben gekommen ist.
3.Die Lager für sowjetische Kriegsgefangene
Zum Straßenbild der ersten Jahre der deutschen Okkupationszeit gehör-
ten auch die schier endlos anmutenden Kolonnen von Elcndsgcstaltcn
sowjetischer Kriegsgefangener, da das lettische Gebiet zu einem der gro-
ßen Zentren des Kricgsgefangcncnwesens im Hinterland der Heeres-
gruppe Nord verwandelt worden war52. Schon 1941 wurden die ersten an-
fallenden zahlreichen Gefangenen in den größeren Städten mit starken
deutschen Militärgarnisonen konzentriert: in Riga, Mitau, Dünaburg
und Rositten. Anfänglich waren es Durchgangslager (Dulags), die dem
Oberquartiermcister der Heeresgruppe bzw. dem Befehlshaber des rück-
wärtigen Heeresgebietes unterstellt waren. Am 20. Juli 1941 übernahm
der Wehrmachtsbefehlshaber Ostland (WBO) das Dulag in Mitau, bis
zum 1. September 1941 hatte der Kommandeur der Kriegsgefangenen
beim WBO alle übrigen Lager übernommen. Anfänglich hatte General-
major Victor Gaissert diesen Posten inne, seine Nachfolger waren: Gene-
ralmajor Bronislaw Pawel (1. November 1942 bis 12. Dezember 1942), Ge-
neralmajor Ernst Wenig (1. Januar 1943 bis 1. Februar 1944). Im Herbst
1941 wurden die Dulags in Stammlager (Stalags) umgewandelt. Die drei
größten Lager waren das Stalag 350 in Riga, das Stalag 340 in Dünaburg
und das Stalag 347 in Rositten. Daneben existierten viele kleinere Lager.
ten auch die schier endlos anmutenden Kolonnen von Elcndsgcstaltcn
sowjetischer Kriegsgefangener, da das lettische Gebiet zu einem der gro-
ßen Zentren des Kricgsgefangcncnwesens im Hinterland der Heeres-
gruppe Nord verwandelt worden war52. Schon 1941 wurden die ersten an-
fallenden zahlreichen Gefangenen in den größeren Städten mit starken
deutschen Militärgarnisonen konzentriert: in Riga, Mitau, Dünaburg
und Rositten. Anfänglich waren es Durchgangslager (Dulags), die dem
Oberquartiermcister der Heeresgruppe bzw. dem Befehlshaber des rück-
wärtigen Heeresgebietes unterstellt waren. Am 20. Juli 1941 übernahm
der Wehrmachtsbefehlshaber Ostland (WBO) das Dulag in Mitau, bis
zum 1. September 1941 hatte der Kommandeur der Kriegsgefangenen
beim WBO alle übrigen Lager übernommen. Anfänglich hatte General-
major Victor Gaissert diesen Posten inne, seine Nachfolger waren: Gene-
ralmajor Bronislaw Pawel (1. November 1942 bis 12. Dezember 1942), Ge-
neralmajor Ernst Wenig (1. Januar 1943 bis 1. Februar 1944). Im Herbst
1941 wurden die Dulags in Stammlager (Stalags) umgewandelt. Die drei
größten Lager waren das Stalag 350 in Riga, das Stalag 340 in Dünaburg
und das Stalag 347 in Rositten. Daneben existierten viele kleinere Lager.
Der zentrale Ieil des Stalag 350 befand sich in Riga auf der l'ernavas
Straße in einer alten Kaserne. Lagerkommandant war Major Sulzberger.
Im Herbst 1941 wurden hier viele Tausende Gefangene konzentriert, die
zunächst größtenteils unter freiem Himmel kampieren mußten. Drei erst
im Winter aufgestellte Baracken waren nicht beheizbar, und auch diese
konnten nur einen Bruchteil der Kriegsgefangenen beherbergen. Die
meisten mußten sich mit Löffeln und Kochgeschirr Erdgruben graben.
Es war ganz klar, daß bei den Hungerrationen und den unvorstellbaren
Unterkünften, verbunden mit schwerer Arbeit, bald ein Massensterben
einsetzte.
Das zentrale Lager hatte in Riga mehrere Nebenlager: in der früheren
Artilleriekaserne, in der sogenannten »Panzerkaserne«, auf dem Flugplatz
Spilve, auf dem Rangierbahnhof Skirotava, in leerstehenden Speichern
der Fabriken »Vairogs« und »Strirzky«, auf dem Güterbahnhof und im
Exporthafen. Andere Nebenlager befanden sich in der Umgebung Rigas
in Lilaste an der Rigaer Bucht, an der Eisenbahnstation Cekule, in der
Torffabrik Stopiushof (Stopini), in Segewold (Sigulda), Ligatne, Olai
(Olaine),Torffabrik Schlock (Sloka) und Kemmern (Kemeri). Außerdem
existierten noch viele andere kleinere Lager mit jeweils einigen Dutzend
Gefangenen, die zu Eisenbahn- und Straßenreparaturen sowie zu Wald-
arbeiten eingeserzt wurden. Diese Lager bestanden bis 1943.
arbeiten eingeserzt wurden. Diese Lager bestanden bis 1943.
Das größte Lager außerhalb Rigas befand sich in Salaspils, offiziell als
Stalag 350-S bezeichnet. Es wurde im Herbst 1941 errichtet. Anfangs
wurden die Gefangenen in alten Kasernen untergebracht. Als diese über-
füllt waren, trieb man die Neueingänge auf zwei mit Stacheldraht ein-
gezäunten Plätzen zusammen, wo sie schurzlos dem Herbstregen und
frühen Frösten ausgesetzt waren. Von mehreren zehntausend Gefange-
nen, die sich im Spätherbst 1941 in diesem Lager befunden haben sollen,
waren nach offiziellen Angaben im Juni 1942 nur noch 3 434 am Leben.
Stalag 350-S bezeichnet. Es wurde im Herbst 1941 errichtet. Anfangs
wurden die Gefangenen in alten Kasernen untergebracht. Als diese über-
füllt waren, trieb man die Neueingänge auf zwei mit Stacheldraht ein-
gezäunten Plätzen zusammen, wo sie schurzlos dem Herbstregen und
frühen Frösten ausgesetzt waren. Von mehreren zehntausend Gefange-
nen, die sich im Spätherbst 1941 in diesem Lager befunden haben sollen,
waren nach offiziellen Angaben im Juni 1942 nur noch 3 434 am Leben.
Das andere große Lager war das Stalag 340 in Dünaburg (Daugavpils).
Anfangs pferchte man die Gefangenen in die schon bald überfüllten
Pulverkammern der noch aus Zeiten der napoleonischen Kriege stam-
menden Festung. Den strengen Winter mußte ein Ieil der Häftlinge in
Erdunterkünften verbringen, später wurden sie in nicht beheizbaren Ba-
racken auf dem Festungsplatz untergebracht. Nebenlager befanden sich
in Depoträumen der Eisenbahnstation Daugavpils il sowie in alten Stal-
lungen. Die Lagerkommandanten waren Major Höffncr, ihm folgte
Hauptmann Hugo Meyer, dann Hauptmann Missin.
Anfangs pferchte man die Gefangenen in die schon bald überfüllten
Pulverkammern der noch aus Zeiten der napoleonischen Kriege stam-
menden Festung. Den strengen Winter mußte ein Ieil der Häftlinge in
Erdunterkünften verbringen, später wurden sie in nicht beheizbaren Ba-
racken auf dem Festungsplatz untergebracht. Nebenlager befanden sich
in Depoträumen der Eisenbahnstation Daugavpils il sowie in alten Stal-
lungen. Die Lagerkommandanten waren Major Höffncr, ihm folgte
Hauptmann Hugo Meyer, dann Hauptmann Missin.
Das drittgrößte Lager war das Stalag 347 in Rositten unter dem Kom-
mandanten Major Ritter von Keliander, das ebenfalls Ende Juli 1941 ent-
standen war. Als Unterkünfte dienten baufällige Quarantäne-Baracken
aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Der Gebietskommissar in Dünaburg
schätzte die Zahl der Gefangenen in beiden Lagern auf etwa 100 000. All-
gemein bekannt war die auch hier katastrophale Versorgungslage - sie
wurde sogar in einem amtlichen Schreiben des Chefintendanten beim
WBO vom 27. Juli 1942 anerkannt; auch die Vernichtung der Kriegs-
gefangenen durch Hunger, Terror und grauenhafte Existenzbedingungen
war längst ein offenes Geheimnis. Noch am 21. Mai 1943 schrieb der
Gebietskommissar in Dünaburg, Riecken, in einem Lagebericht vom
Massensterben in den Kriegsgefangenenlagern als von einer allgemein be-
kannten Tatsache.
mandanten Major Ritter von Keliander, das ebenfalls Ende Juli 1941 ent-
standen war. Als Unterkünfte dienten baufällige Quarantäne-Baracken
aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Der Gebietskommissar in Dünaburg
schätzte die Zahl der Gefangenen in beiden Lagern auf etwa 100 000. All-
gemein bekannt war die auch hier katastrophale Versorgungslage - sie
wurde sogar in einem amtlichen Schreiben des Chefintendanten beim
WBO vom 27. Juli 1942 anerkannt; auch die Vernichtung der Kriegs-
gefangenen durch Hunger, Terror und grauenhafte Existenzbedingungen
war längst ein offenes Geheimnis. Noch am 21. Mai 1943 schrieb der
Gebietskommissar in Dünaburg, Riecken, in einem Lagebericht vom
Massensterben in den Kriegsgefangenenlagern als von einer allgemein be-
kannten Tatsache.
Das Dulag toi in Mitau wurde Ende Sommer 1941 in Stalag 350, Ne-
benlager Mitau umbenannt. Ein weiteres Kriegsgefangenenlager be-
fand sich in Libau - anfangs trug es die Bezeichnung »Kriegsgefangenen-
Umschlaglager Libau« und war zuerst dem Lager in Mitau, später dann
Riga unterstellt.
benlager Mitau umbenannt. Ein weiteres Kriegsgefangenenlager be-
fand sich in Libau - anfangs trug es die Bezeichnung »Kriegsgefangenen-
Umschlaglager Libau« und war zuerst dem Lager in Mitau, später dann
Riga unterstellt.
Im Sommer 1944, als Lettland erneut militärisches Operationsgebiet
wurde, verlegte man die Stalags nach Deutschland und die Dulags aus
frontnahen Gebieten nach Dünaburg, Riga und Salaspils. Der Komman-
wurde, verlegte man die Stalags nach Deutschland und die Dulags aus
frontnahen Gebieten nach Dünaburg, Riga und Salaspils. Der Komman-
tlant des Dulag 100, Oberst Riess, avancierte zum Beauftragten für das
Kriegsgefangenenwesen bei der Heeresgruppe Nord. Als Riga aufgegeben
wurde und die Heeresgruppe sich im Oktober 1944 nach Kurland zu-
rückzog, wurden die Dulags teilweise in Windau stationiert. Dort ent-
stand mit einem Nebenlager das letzte Lager für sowjetische Kriegs-
gefangene auf lettischem Boden, das als Dulag 110 bis zur Kapitulation
der Heeresgruppe Kurland am 9. Mai 1945 bestand.
Kriegsgefangenenwesen bei der Heeresgruppe Nord. Als Riga aufgegeben
wurde und die Heeresgruppe sich im Oktober 1944 nach Kurland zu-
rückzog, wurden die Dulags teilweise in Windau stationiert. Dort ent-
stand mit einem Nebenlager das letzte Lager für sowjetische Kriegs-
gefangene auf lettischem Boden, das als Dulag 110 bis zur Kapitulation
der Heeresgruppe Kurland am 9. Mai 1945 bestand.
Das ganze Territorium Lettlands ist mit Gräbern sowjetischer Kriegs-
gefangener übersät, in der Nähe der ehemaligen großen Lager sind es
Massengräber riesigen Umfangs. Nach Angaben der sowjetischen AK sol-
len allein in Riga in den Massengräbern die sterblichen Überreste von
130 000 sowjetischen Kriegsgefangenen gefunden worden sein, in Düna-
burg 124 000, in Libau 7 200, in Rositten 3 500, in Mitau 23 000, ins-
gesamt in ganz Lettland mehr als 330 000".
gefangener übersät, in der Nähe der ehemaligen großen Lager sind es
Massengräber riesigen Umfangs. Nach Angaben der sowjetischen AK sol-
len allein in Riga in den Massengräbern die sterblichen Überreste von
130 000 sowjetischen Kriegsgefangenen gefunden worden sein, in Düna-
burg 124 000, in Libau 7 200, in Rositten 3 500, in Mitau 23 000, ins-
gesamt in ganz Lettland mehr als 330 000".
Wir können diese hohe Opferzahl in Zweifel ziehen, doch ist eine Re-
vision angesichts des spärlichen Quellenmaterials schlecht möglich.
vision angesichts des spärlichen Quellenmaterials schlecht möglich.
4. Die Militärstrafgefangenen-Anstalten für Wehrmachtsangehörige
Die Lager für die sowjetischen Kriegsgefangenen und ein Block im Kon-
zentrationslager Salaspils für Angehörige der sogenannten »Lettischen SS-
Legion« waren nicht die einzigen Haftstätten für Angehörige des Militärs.
Es bestanden Straf- und Haftanstalten auch für Deutsche. Die Existenz
von Militärstrafgefangenen-Anstalten im leerstehenden Fabrikgebäude
des ehemaligen »Provodnik« und im Gefängnis »Zitadelle«, beide in Riga,
ist durch Zeugenaussagen sicher belegt. Für 1944 ist eine »Kriegswehr-
machtsstrafanstalt in Riga«, eine »4. Feld-Strafgefangenenabteilung« und
ein Strafbataillon der Marine in Windau nachzuweisen, das unter der Be-
nennung »Marinekriegssonderabteilung Ost« und »31. Schiffsstammab-
teilung« in Windau geführt worden ist54. Nähere Angaben über die Zahl
der Inhaftierten sind in lettischen Archiven nicht gefunden worden.
zentrationslager Salaspils für Angehörige der sogenannten »Lettischen SS-
Legion« waren nicht die einzigen Haftstätten für Angehörige des Militärs.
Es bestanden Straf- und Haftanstalten auch für Deutsche. Die Existenz
von Militärstrafgefangenen-Anstalten im leerstehenden Fabrikgebäude
des ehemaligen »Provodnik« und im Gefängnis »Zitadelle«, beide in Riga,
ist durch Zeugenaussagen sicher belegt. Für 1944 ist eine »Kriegswehr-
machtsstrafanstalt in Riga«, eine »4. Feld-Strafgefangenenabteilung« und
ein Strafbataillon der Marine in Windau nachzuweisen, das unter der Be-
nennung »Marinekriegssonderabteilung Ost« und »31. Schiffsstammab-
teilung« in Windau geführt worden ist54. Nähere Angaben über die Zahl
der Inhaftierten sind in lettischen Archiven nicht gefunden worden.
Die Ghettos und Konzentrationslagerßir Juden
Das besetzte Lettland, besonders Riga, ist von den Nationalsozialisten
auch als Stätte des Massenmordes an den einheimischen und westeuropäi-
schen Juden mißbraucht worden. Uberall in Lettland ist die jüdische Be-
völkerung schon in den ersten Wochen der Besetzung aus ihren
Wohnungen vertrieben und in Synagogen, Lagerräumen und baufälligen
Häusern zusammengetrieben worden. Von dort wurden sie dann späte-
stens im Laufe eines Monats zu Erschießungsstätten abgeführt. Diese
auch als Stätte des Massenmordes an den einheimischen und westeuropäi-
schen Juden mißbraucht worden. Uberall in Lettland ist die jüdische Be-
völkerung schon in den ersten Wochen der Besetzung aus ihren
Wohnungen vertrieben und in Synagogen, Lagerräumen und baufälligen
Häusern zusammengetrieben worden. Von dort wurden sie dann späte-
stens im Laufe eines Monats zu Erschießungsstätten abgeführt. Diese
(483-484)
Im Unterschied zu Dünaburg und Riga, wo die Ghettos als Konzentra-
tionslager dem Zweck der darauf folgenden Vernichtung dienten, wurde
das Ghetto Libau in der Endphase nicht zu Beginn, sondern zum Abschluß
der Morde eingerichtet, als schon 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung
umgebracht worden waren. Es war eigentlich ein Kasernierungslager lür
die von den deutschen Dienststellen einstweilen noch gebrauchten Hand-
werker und einen Teil der noch lebenden Familienangehörigen. Das Ghet-
to wurde erst am 1. Juli 1942 errichtet und umfaßte einen Häuserblock,
welcher von den Straßen Kungu, Barinu, Darza und Apsu abgegrenzt
wurde. Ghetto-Kommandant war der Meister der Schutzpolizei Ker-
schner65. Er ist als Ausnahmefall in der Geschichte der nationalsozialisti-
schen Vernichtungslager anzusehen, da ihn ausnahmslos alle Überleben-
den des Libauer Ghettos als humanen, gütigen Menschen charakterisieren.
tionslager dem Zweck der darauf folgenden Vernichtung dienten, wurde
das Ghetto Libau in der Endphase nicht zu Beginn, sondern zum Abschluß
der Morde eingerichtet, als schon 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung
umgebracht worden waren. Es war eigentlich ein Kasernierungslager lür
die von den deutschen Dienststellen einstweilen noch gebrauchten Hand-
werker und einen Teil der noch lebenden Familienangehörigen. Das Ghet-
to wurde erst am 1. Juli 1942 errichtet und umfaßte einen Häuserblock,
welcher von den Straßen Kungu, Barinu, Darza und Apsu abgegrenzt
wurde. Ghetto-Kommandant war der Meister der Schutzpolizei Ker-
schner65. Er ist als Ausnahmefall in der Geschichte der nationalsozialisti-
schen Vernichtungslager anzusehen, da ihn ausnahmslos alle Überleben-
den des Libauer Ghettos als humanen, gütigen Menschen charakterisieren.
Nach Angaben der sowjetischen AK soll die Zahl der Ghettoinsassen 814
betragen haben, nach Angaben der Überlebenden waren es um 870. Das
Ghetto bestand bis zum 7. Oktober 1943, als die Insassen nach Riga ins
Konzentrationslager Kaiserwald überführt wurden. Vom 1. Juli 1942 bis zum
7. Oktober 1943 sollen im Ghetto 156 Menschen gestorben sein, darunter
54 Erschossene66. Das Libauer Ghetto hatte ein Nebenlager in Paplaka, ein
Arbeitslager der Waffen-SS, von Frühjahr bis Oktober 1942. Eine kleinere
Gruppe wurde jedoch noch bis April 1944 in Paplaka festgehalten67.
betragen haben, nach Angaben der Überlebenden waren es um 870. Das
Ghetto bestand bis zum 7. Oktober 1943, als die Insassen nach Riga ins
Konzentrationslager Kaiserwald überführt wurden. Vom 1. Juli 1942 bis zum
7. Oktober 1943 sollen im Ghetto 156 Menschen gestorben sein, darunter
54 Erschossene66. Das Libauer Ghetto hatte ein Nebenlager in Paplaka, ein
Arbeitslager der Waffen-SS, von Frühjahr bis Oktober 1942. Eine kleinere
Gruppe wurde jedoch noch bis April 1944 in Paplaka festgehalten67.
Das größte Ghetto befand sich in Riga. Der Beginn des Ghettos läßt
sich bis auf die erste Augustwoche des Jahres 1941 zurückverfolgen, einem
Zeitpunkt, zu dem Riga noch unter Militärverwaltung stand. Am 23. Au-
gust 1941 veröffentlichte die Zeitung »Tevija« eine Information über die
Markierung des Ghettogeländes. Am 13. September meldete »Tevija« die
Umsiedlung von 3 200 Juden ins Ghetto, am 8. Oktober von angeblich
30 000 bereits »Umgesiedelten«. Am 23. Oktober 1941 erließ der Gebiets-
kommissar Riga-Stadt seine »Anordnung über die Bildung eines Ghettos
in Riga und den Umgang mit den Juden«6*. Laut dieser Anordnung soll-
ten bis zum 25. Oktober, 18.00 Uhr, alle Juden umgesiedelt sein, Zu-
widerhandlungen wurden mit schwersten Strafen bedroht. Die Einsatz-
gruppe A unterstrich in Meldungen und Tätigkeitsberichten immer
wieder ihre besonderen »Verdienste« um die Schaffung des Ghettos in
Riga, die schon vor der »Machtübernahme« der Zivilverwaltung in Riga
vom SD eingeleitet worden sei6''. Die Verwaltung oblag bis zum Dezem-
ber 1941 dem Gebietskommissar Riga-Stadt und ging dann auf das Gene-
ralkommissariat Lettland über. Die polizeiliche Überwachung wurde
vom Kommandeur der Sicherheitspolizei Lettland (KdS Lettland) ausge-
führt, für die Bewachung des Ghettos wurde eine Wache aus der letti-
sich bis auf die erste Augustwoche des Jahres 1941 zurückverfolgen, einem
Zeitpunkt, zu dem Riga noch unter Militärverwaltung stand. Am 23. Au-
gust 1941 veröffentlichte die Zeitung »Tevija« eine Information über die
Markierung des Ghettogeländes. Am 13. September meldete »Tevija« die
Umsiedlung von 3 200 Juden ins Ghetto, am 8. Oktober von angeblich
30 000 bereits »Umgesiedelten«. Am 23. Oktober 1941 erließ der Gebiets-
kommissar Riga-Stadt seine »Anordnung über die Bildung eines Ghettos
in Riga und den Umgang mit den Juden«6*. Laut dieser Anordnung soll-
ten bis zum 25. Oktober, 18.00 Uhr, alle Juden umgesiedelt sein, Zu-
widerhandlungen wurden mit schwersten Strafen bedroht. Die Einsatz-
gruppe A unterstrich in Meldungen und Tätigkeitsberichten immer
wieder ihre besonderen »Verdienste« um die Schaffung des Ghettos in
Riga, die schon vor der »Machtübernahme« der Zivilverwaltung in Riga
vom SD eingeleitet worden sei6''. Die Verwaltung oblag bis zum Dezem-
ber 1941 dem Gebietskommissar Riga-Stadt und ging dann auf das Gene-
ralkommissariat Lettland über. Die polizeiliche Überwachung wurde
vom Kommandeur der Sicherheitspolizei Lettland (KdS Lettland) ausge-
führt, für die Bewachung des Ghettos wurde eine Wache aus der letti-
sehen Schußmannschaft aufgestellt: ein Offizier, ein Vertreter, 60 Mann,
zwei Beamte70. Die Wache wurde angewiesen, »von der Waffe rücksichts-
los Gebrauch zu machen«7'. Auf einer Besprechung am 5. September 1941
wurde dem lettischen Ordnungsdienst durch den SS- und Polizeiführer
Lettland, Walter Schroeder, mitgeteilt, daß keine Juden in Lettland blei-
ben werden72. Laut Kartothek des Judenrates befanden sich 29 602 Men-
schen im Ghetto: 5 652 Kinder, 8 300 »Arbeitsunfähige«, 15 650 Arbeits-
fähige, davon 6 143 Männer und 9 507 Frauen71. Mehrere hundert Men-
schen sind in dieser Kartei nicht erfaßt - Flüchtlinge aus der Provinz und
den Kriegsgefangenenlagern. Die Ghettoinsassen wurden nach einem
Monat in zwei blutigen »Großaktionen« am 30. November und 8. De-
zember 1941 in Rumbula bei Riga ermordet. Die Zahl der Opfer dieser
Massaker liegt bei etwa 2s 000.
zwei Beamte70. Die Wache wurde angewiesen, »von der Waffe rücksichts-
los Gebrauch zu machen«7'. Auf einer Besprechung am 5. September 1941
wurde dem lettischen Ordnungsdienst durch den SS- und Polizeiführer
Lettland, Walter Schroeder, mitgeteilt, daß keine Juden in Lettland blei-
ben werden72. Laut Kartothek des Judenrates befanden sich 29 602 Men-
schen im Ghetto: 5 652 Kinder, 8 300 »Arbeitsunfähige«, 15 650 Arbeits-
fähige, davon 6 143 Männer und 9 507 Frauen71. Mehrere hundert Men-
schen sind in dieser Kartei nicht erfaßt - Flüchtlinge aus der Provinz und
den Kriegsgefangenenlagern. Die Ghettoinsassen wurden nach einem
Monat in zwei blutigen »Großaktionen« am 30. November und 8. De-
zember 1941 in Rumbula bei Riga ermordet. Die Zahl der Opfer dieser
Massaker liegt bei etwa 2s 000.
Vor der Mordaktion wurde ein Teil der »arbeitsfähigen« Männer und
Frauen ausgesondert und in das sogenannte »kleine Ghetto« gebracht.
Das Arbeitsamt des Gebietskommissars Riga-Stadt erfaßte dort am 31. Ja-
nuar 1942 3 942 Männer und 389 Frauen74. Rechnet man den Innen-
dienst, Kranke usw. mit ein, wird die Zahl um 100 bis 150 höher liegen.
Ins »kleine Ghetto« wurde am 8. Februar 1942 ein hauptsächlich aus
Männern bestehender Transport aus dem litauischen Kaunas eingeliefert,
ein weiterer Transport von etwa 350 Männern wurde auf dem Flugplatz
Spilve kaserniert. Insgesamt waren im »kleinen Ghetto« in Riga etwa
Frauen ausgesondert und in das sogenannte »kleine Ghetto« gebracht.
Das Arbeitsamt des Gebietskommissars Riga-Stadt erfaßte dort am 31. Ja-
nuar 1942 3 942 Männer und 389 Frauen74. Rechnet man den Innen-
dienst, Kranke usw. mit ein, wird die Zahl um 100 bis 150 höher liegen.
Ins »kleine Ghetto« wurde am 8. Februar 1942 ein hauptsächlich aus
Männern bestehender Transport aus dem litauischen Kaunas eingeliefert,
ein weiterer Transport von etwa 350 Männern wurde auf dem Flugplatz
Spilve kaserniert. Insgesamt waren im »kleinen Ghetto« in Riga etwa
5 ooo Juden aus Lettland und Litauen inhaftiert. Ihre Zahl verringerte
sich aber stark: schätzungsweise nicht weniger als 500 Menschen wurden
aufgrund von Verstößen gegen die Lagerordnung, als Geiseln oder als
Widerstandskämpfer erschossen oder starben im Rigaer Zentralgefnng-
nis. Ungefähr 300 Menschen sind wahrscheinlich an den Folgen des La-
gerregimes gestorben und 800 fielen der letzten Selektion während der
Liquidierung des Ghettos am 1. und 2. November 1943 zum Opfer.
sich aber stark: schätzungsweise nicht weniger als 500 Menschen wurden
aufgrund von Verstößen gegen die Lagerordnung, als Geiseln oder als
Widerstandskämpfer erschossen oder starben im Rigaer Zentralgefnng-
nis. Ungefähr 300 Menschen sind wahrscheinlich an den Folgen des La-
gerregimes gestorben und 800 fielen der letzten Selektion während der
Liquidierung des Ghettos am 1. und 2. November 1943 zum Opfer.
In den leerstehenden Teil des »großen Ghettos« wurden ab Dezember
1941 Juden »aus dem Reich« gebracht. Trotz besonders hoher Sterblich-
keit, gerade im Winter 1941/42 und den großen Mordaktionen - am 5.
und 9. Februar, 14. und 26. März 1942 (bekannt als »Dünamünder Ak-
tion«, etwa 2 000 Opfer) - schwankte die Zahl der Insassen des »Reichs-
judenghettos« nach Angaben der Arbeitsämter immer zwischen 6 000
und 7 ooo75. Im März 1943 wurde die Zahl der »Arbeitsfähigen« in bei-
den Ghettos mit 11 726 beziffert76. Bei der Schließung des Ghettos am
2. November 1943 forderte die letzte Selektion unter den Reichsjuden be-
sonders schwere Opfer - schätzungsweise 1 400 Menschenleben.
1941 Juden »aus dem Reich« gebracht. Trotz besonders hoher Sterblich-
keit, gerade im Winter 1941/42 und den großen Mordaktionen - am 5.
und 9. Februar, 14. und 26. März 1942 (bekannt als »Dünamünder Ak-
tion«, etwa 2 000 Opfer) - schwankte die Zahl der Insassen des »Reichs-
judenghettos« nach Angaben der Arbeitsämter immer zwischen 6 000
und 7 ooo75. Im März 1943 wurde die Zahl der »Arbeitsfähigen« in bei-
den Ghettos mit 11 726 beziffert76. Bei der Schließung des Ghettos am
2. November 1943 forderte die letzte Selektion unter den Reichsjuden be-
sonders schwere Opfer - schätzungsweise 1 400 Menschenleben.
Der Kommandant beider Ghettos und auch des Lagers Salaspils war
SS Oberscharführer Kurt Krause, ab Herbst 1942 war faktisch Haupt-
scharfiihrer Eduard Roschmann der Ghettokommandant.
scharfiihrer Eduard Roschmann der Ghettokommandant.
Die aus dem »Reich« nach Riga deportierten »arbeitsfähigen« jüdischen
Männer kamen alle nach Salaspils. Für die übrigen bestand neben dem
Rigaer Ghetto noch eine vorläufige Unterbringungsmöglichkeit: das La-
ger Jungfernhof (Mazjumprava), in das schon ein Teil der ersten Transpor-
te gebracht worden war. Während des Prozesses gegen den ehemaligen
Lagerführcr Rudolf Seck vor dem Landgericht Hamburg wurde die Zahl
der dort Zusammengepferchten auf 4 000 bis 5 000 geschätzt. Davon ka-
men 200 Frauen ins Rigaer Ghetto, 600 Männer nach Salaspils. Die übri-
gen bis auf einen Rest von circa 400 »Arbeitsfähigen« wurden in der Dün-
amünder Aktion im März 1942 getötet oder gingen einfach zu Grunde.
Männer kamen alle nach Salaspils. Für die übrigen bestand neben dem
Rigaer Ghetto noch eine vorläufige Unterbringungsmöglichkeit: das La-
ger Jungfernhof (Mazjumprava), in das schon ein Teil der ersten Transpor-
te gebracht worden war. Während des Prozesses gegen den ehemaligen
Lagerführcr Rudolf Seck vor dem Landgericht Hamburg wurde die Zahl
der dort Zusammengepferchten auf 4 000 bis 5 000 geschätzt. Davon ka-
men 200 Frauen ins Rigaer Ghetto, 600 Männer nach Salaspils. Die übri-
gen bis auf einen Rest von circa 400 »Arbeitsfähigen« wurden in der Dün-
amünder Aktion im März 1942 getötet oder gingen einfach zu Grunde.
Gemäß Himmlers Befehl vom 21. Juni 1943 wurde das Rigaer Ghetto
am 2. November 1943 aufgelöst. Häftlinge, die für arbeitsfähig befunden
wurden, kamen ins KL Kaiserwald, das im Sommer 1943 nahe dem
Villenviertel Kaiserwald (Mezaparks) von einer Gruppe Sachsenhauscncr
Häftlinge aufgebaut worden war. Kommandant war SS-Sturmbannführer
Georg Sauer. Dieses Hauptlager verteilte die etwa 15 000 Häftlinge auf die
13 Außenlager in Riga und die vier außerhalb von Riga befindlichen Ne-
benlager. Nach dokumentarischen Unterlagen sollen sich im März 1944
im Konzentrationslager Kaiserwald 11 178 Häftlinge befunden haben
(6 182 Männer, 5 696 Frauen)77. Die Zahl der Häftlinge schwankte bestän-
dig: einerseits wurden in das Konzentrationslager Kaiserwald beständig
am 2. November 1943 aufgelöst. Häftlinge, die für arbeitsfähig befunden
wurden, kamen ins KL Kaiserwald, das im Sommer 1943 nahe dem
Villenviertel Kaiserwald (Mezaparks) von einer Gruppe Sachsenhauscncr
Häftlinge aufgebaut worden war. Kommandant war SS-Sturmbannführer
Georg Sauer. Dieses Hauptlager verteilte die etwa 15 000 Häftlinge auf die
13 Außenlager in Riga und die vier außerhalb von Riga befindlichen Ne-
benlager. Nach dokumentarischen Unterlagen sollen sich im März 1944
im Konzentrationslager Kaiserwald 11 178 Häftlinge befunden haben
(6 182 Männer, 5 696 Frauen)77. Die Zahl der Häftlinge schwankte bestän-
dig: einerseits wurden in das Konzentrationslager Kaiserwald beständig
dig: einerseits wurden in das Konzentrationslager Kaiscrwald beständig
neue Gruppen aus aufgelösten kleinen Arbeitslagern eingeliefert: von Juni
bis Anfang Juli 1944 wurden Transporte mit ungarischen Jüdinnen aus
Auschwitz nach Riga gebracht (ewa 2 000 Personen). Andererseits war die
Sterblichkeit relativ hoch. Nach Auswertung der im Archiv erhaltenen
»Leichenpassierscheine« ist festzustellen, daß zwischen dem 15. Dezember
1943 und dem 8. August 1944 484 Häftlinge des Hauptlagcrs starben78. Für
ein Lager, in dem zu dieser Zeit nicht mehr als 3 000 Menschen gewesen
sein können, war das eine enorm hohe Todesrate.
neue Gruppen aus aufgelösten kleinen Arbeitslagern eingeliefert: von Juni
bis Anfang Juli 1944 wurden Transporte mit ungarischen Jüdinnen aus
Auschwitz nach Riga gebracht (ewa 2 000 Personen). Andererseits war die
Sterblichkeit relativ hoch. Nach Auswertung der im Archiv erhaltenen
»Leichenpassierscheine« ist festzustellen, daß zwischen dem 15. Dezember
1943 und dem 8. August 1944 484 Häftlinge des Hauptlagcrs starben78. Für
ein Lager, in dem zu dieser Zeit nicht mehr als 3 000 Menschen gewesen
sein können, war das eine enorm hohe Todesrate.
Die Zahl der Hiiftlinge wurde durch Selektionen stark vermindert, be-
sonders im Sommer 1944, als sich die Frontlinie Riga näherte. Über die
vielen Selektionen ist nur ein einziges eigentümliches Dokument erhal-
ten - eine Aufschrift in russischer Sprache an der Innenwand eines
Spinds im Nebenlager Strasdenhof (Strazdumuiza): »Ich, Abram Graf-
man aus Warschau, befinde mich heute am 3.8. in einer Gruppe von 900
Juden, die zur Erschießung geführt werden.«79
sonders im Sommer 1944, als sich die Frontlinie Riga näherte. Über die
vielen Selektionen ist nur ein einziges eigentümliches Dokument erhal-
ten - eine Aufschrift in russischer Sprache an der Innenwand eines
Spinds im Nebenlager Strasdenhof (Strazdumuiza): »Ich, Abram Graf-
man aus Warschau, befinde mich heute am 3.8. in einer Gruppe von 900
Juden, die zur Erschießung geführt werden.«79
Außerhalb von Riga sind folgende größere Außenlager des KL Kaiser-
wald bekannt:
wald bekannt:
Eleja-Meitene (Kreis Mitau), Dondangen I (Gemeinde Dundaga, Kreis
Windau), Dondangen II in Poperwahlen (Gemeinde Erwalen — Arlava,
Kreis Talsen). Uber Eleja-Meitene konnte folgende zusätzliche Informa-
tion im Historischen Archiv in Riga gefunden werden: Das aus 16 bau-
fälligen Baracken bestehende biger befand sich nahe der »Maschinen-
Traktor-Station« in Eleja. Die etwa 3 000 jüdischen Häftlinge aus Litau-
en und Polen mit Kindern und auch alten Leuten arbeiteten hauptsäch-
lich bei der Bahnstation Meitcne beim Schienenlegen und bei Gleisrepa-
raturen. Das Lager bestand von Oktober 1943 bis Juni 1944. Uber den
Verbleib der Häftlinge fehlen jegliche Anhaltspunkte80.
Windau), Dondangen II in Poperwahlen (Gemeinde Erwalen — Arlava,
Kreis Talsen). Uber Eleja-Meitene konnte folgende zusätzliche Informa-
tion im Historischen Archiv in Riga gefunden werden: Das aus 16 bau-
fälligen Baracken bestehende biger befand sich nahe der »Maschinen-
Traktor-Station« in Eleja. Die etwa 3 000 jüdischen Häftlinge aus Litau-
en und Polen mit Kindern und auch alten Leuten arbeiteten hauptsäch-
lich bei der Bahnstation Meitcne beim Schienenlegen und bei Gleisrepa-
raturen. Das Lager bestand von Oktober 1943 bis Juni 1944. Uber den
Verbleib der Häftlinge fehlen jegliche Anhaltspunkte80.
Die Lager Dondangen I und Dondangen II gehörten zu den schlechte-
sten, besonders in der Anfangsphase, als die Häftlinge im Freien oder in
Zelten kampieren mußten. Bei der großen Zahl der Toten wußte der
Kommandant keinen besseren Ausweg als die Leichen einfach in die Ost-
see zu werfen. Das kostete ihn später seinen Posten, und man begann in
Poperwahlen ein Krematorium zu bauen - jedoch keine Unterkünfte
für die Häftlinge, die in Dondangen II bis zum Ende in Zelten leben
mußten. Beide Lager befanden sich in einem Gebiet - bekannt als »See-
lager SS Dondangen« -. das im Sommer 1943 von der SS beschlagnahmt
worden war und in dem fieberhaft Wege und Unterkünfte gebaut wurden.
sten, besonders in der Anfangsphase, als die Häftlinge im Freien oder in
Zelten kampieren mußten. Bei der großen Zahl der Toten wußte der
Kommandant keinen besseren Ausweg als die Leichen einfach in die Ost-
see zu werfen. Das kostete ihn später seinen Posten, und man begann in
Poperwahlen ein Krematorium zu bauen - jedoch keine Unterkünfte
für die Häftlinge, die in Dondangen II bis zum Ende in Zelten leben
mußten. Beide Lager befanden sich in einem Gebiet - bekannt als »See-
lager SS Dondangen« -. das im Sommer 1943 von der SS beschlagnahmt
worden war und in dem fieberhaft Wege und Unterkünfte gebaut wurden.
Im Juni 1944 wurden plötzlich mehrere hundert jüdische Frauen aus
Ungarn vom KL Kaiserwald nach Poperwahlen und Dondangen ge-
Ungarn vom KL Kaiserwald nach Poperwahlen und Dondangen ge-
bracht. Kur/, danach wurden die Arbeiten in Poperwahlen unterbrochen.
Das Lager, das mit einer ersten Gruppe von Häftlingen aus Kaiserwald -
150 Männer und 15 Frauen - im November 1943 auf einer sumpfigen Wie-
se entstanden war, wurde in der ersten Juliwoche 1944 nat'h Dondangen I
verlegt. Die inzwischen auf 600 Personen angewachsene Zahl der Häftlin-
ge und einige hundert ungarische Frauen konnte dort nur mit großer
Mühe untergebracht werden11'. Aber auch die Tage von Dondangen I wa-
ren bereits gezählt: Als eine sowjetische Panzerspitze unerwartet nach
Tuckum vorstieß, wurde das Lager am 24. und 25. Juli fluchtartig evaku-
iert, also nicht erst, wie amtlich angegeben, am 21. August. Zusammen mit
den Häftlingen aus Poperwahlen wurden die Kolonnen auf Nebenwegen
nach Goldingen (Kuldiga) getrieben. Viele versuchten zu fliehen, und vie-
le standen den Fußmarsch in der Hitze nicht mehr durch. Ein Teil der
Opfer ist in einem Massengrab in Zlekas begrabcnS2. Der größte Teil wur-
de per Bahn aus Goldingen nach Windau gebracht und von dorr auf dem
Seeweg nach Stutthof. Eine kleine Gruppe kam nach Libau, wurde aber
dort nicht kaserniert, sondern ebenfalls nach Stutthof verschleppt. Kurz
danach begann die allgemeine Uberführung der restlichen Häftlinge nach
Das Lager, das mit einer ersten Gruppe von Häftlingen aus Kaiserwald -
150 Männer und 15 Frauen - im November 1943 auf einer sumpfigen Wie-
se entstanden war, wurde in der ersten Juliwoche 1944 nat'h Dondangen I
verlegt. Die inzwischen auf 600 Personen angewachsene Zahl der Häftlin-
ge und einige hundert ungarische Frauen konnte dort nur mit großer
Mühe untergebracht werden11'. Aber auch die Tage von Dondangen I wa-
ren bereits gezählt: Als eine sowjetische Panzerspitze unerwartet nach
Tuckum vorstieß, wurde das Lager am 24. und 25. Juli fluchtartig evaku-
iert, also nicht erst, wie amtlich angegeben, am 21. August. Zusammen mit
den Häftlingen aus Poperwahlen wurden die Kolonnen auf Nebenwegen
nach Goldingen (Kuldiga) getrieben. Viele versuchten zu fliehen, und vie-
le standen den Fußmarsch in der Hitze nicht mehr durch. Ein Teil der
Opfer ist in einem Massengrab in Zlekas begrabcnS2. Der größte Teil wur-
de per Bahn aus Goldingen nach Windau gebracht und von dorr auf dem
Seeweg nach Stutthof. Eine kleine Gruppe kam nach Libau, wurde aber
dort nicht kaserniert, sondern ebenfalls nach Stutthof verschleppt. Kurz
danach begann die allgemeine Uberführung der restlichen Häftlinge nach
Stutthof: der erste Transport ging am 6. August ab, die nächsten am 19.
und 25. September. Die letzte Gruppe mußte Riga am 10. Oktober 1944
verlassen, um nach Stutthof deportiert 7.11 werden - drei Tage vor der Ein-
nahme Rigas durch die sowjetischen Truppen! Ein Teil der Häftlinge des
Nebenlagers »Lenta« in Riga wurde nach Libau gebracht, wo nur eine klei-
ne Gruppe Handwerker und Autoschlosser beim SD kaserniert wurde.
Alle übrigen wurden im Februar 1945 nach Fuhlsbüttel verschleppt.
und 25. September. Die letzte Gruppe mußte Riga am 10. Oktober 1944
verlassen, um nach Stutthof deportiert 7.11 werden - drei Tage vor der Ein-
nahme Rigas durch die sowjetischen Truppen! Ein Teil der Häftlinge des
Nebenlagers »Lenta« in Riga wurde nach Libau gebracht, wo nur eine klei-
ne Gruppe Handwerker und Autoschlosser beim SD kaserniert wurde.
Alle übrigen wurden im Februar 1945 nach Fuhlsbüttel verschleppt.
Nach Recherchen des Dokumentationszentrums »Juden in Lettland«
in Riga überlebten den Holocaust in Verstecken bei lettischen Mitbür-
gern etwa 200 Juden in Riga, etwa 20 in Libau, fast 20 in den Wäldern
Nordkurlands, ungefähr 30 in Dünaburg und vereinzelte Juden auf dem
Lande in Lettgallcn - summa summarum um 300 jüdische Menschen.
Von denen, die nach Stutthof deportiert wurden, überlebten die Lager
und Todesmärsche in Deutschland weniger als tausend lettische Juden.
in Riga überlebten den Holocaust in Verstecken bei lettischen Mitbür-
gern etwa 200 Juden in Riga, etwa 20 in Libau, fast 20 in den Wäldern
Nordkurlands, ungefähr 30 in Dünaburg und vereinzelte Juden auf dem
Lande in Lettgallcn - summa summarum um 300 jüdische Menschen.
Von denen, die nach Stutthof deportiert wurden, überlebten die Lager
und Todesmärsche in Deutschland weniger als tausend lettische Juden.
Die oft allgemein gebrauchte Bezeichnung »Todeslager« oder »Ver-
nichtungslager« wird gewöhnlich als Synonym für die nationalsozialisti-
schen Konzentrationslager verstanden. Das ist nur zum Teil richtig.
nichtungslager« wird gewöhnlich als Synonym für die nationalsozialisti-
schen Konzentrationslager verstanden. Das ist nur zum Teil richtig.
So dienten, zum Beispiel, die Gefängnisse und die »Ersatzgefängnisse«
in den ersten Monaten der Besatzung dem bewußten Ziel der Vernich-
tung von politischen Gegnern. Später sollten die Gefangnisse und die
»Ersatzgefängnisse« hauptsächlich Internierungsstätten für politisch Be-
lastete sein, obschon auch nichts getan wurde, um das Überleben der
in den ersten Monaten der Besatzung dem bewußten Ziel der Vernich-
tung von politischen Gegnern. Später sollten die Gefangnisse und die
»Ersatzgefängnisse« hauptsächlich Internierungsstätten für politisch Be-
lastete sein, obschon auch nichts getan wurde, um das Überleben der
Häftlinge zu gewährleisten: gegen die Läuseplage, deren Folgen Typhus
und andere Epidemien waren, wurde so gut wie nichts unternommen.
Die Verpflegungszuteilung war so kärglich, daß - wie es in der lettischen
l-agerfolklore allgemein hieß - »eine Laus die Brotration wegtragen«
könne. Daß diese Haftstätten letzten Endes doch zu Vernichtungsstätten
wurden, ist aus dem allgemeinen Charakter des nationalsozialistischen
Terrorsystems zu erklären.
und andere Epidemien waren, wurde so gut wie nichts unternommen.
Die Verpflegungszuteilung war so kärglich, daß - wie es in der lettischen
l-agerfolklore allgemein hieß - »eine Laus die Brotration wegtragen«
könne. Daß diese Haftstätten letzten Endes doch zu Vernichtungsstätten
wurden, ist aus dem allgemeinen Charakter des nationalsozialistischen
Terrorsystems zu erklären.
Auch die Kriegsgefangenenlager, besonders im Osten, werden - und
meines Erachtcns zu Recht - als »Todcslager der Wehrmacht« bezeichnet,
denn bis zum Frühjahr 1942 dienten sie unmißverständlich dem Zweck
der Vernichtung. Auch als die verspätete Erkenntnis einsetzte, daß Gefan-
gene eine wertvolle Arbeitskraft darstellen (in lx'ttland wurden im Mär/.
1941 51 262 Kriegsgefangene zu den Bauern als Landarbeiter entlassen"'),
wurden die Kriegsgefangenen weiterhin nur sehr schlecht versorgt.
meines Erachtcns zu Recht - als »Todcslager der Wehrmacht« bezeichnet,
denn bis zum Frühjahr 1942 dienten sie unmißverständlich dem Zweck
der Vernichtung. Auch als die verspätete Erkenntnis einsetzte, daß Gefan-
gene eine wertvolle Arbeitskraft darstellen (in lx'ttland wurden im Mär/.
1941 51 262 Kriegsgefangene zu den Bauern als Landarbeiter entlassen"'),
wurden die Kriegsgefangenen weiterhin nur sehr schlecht versorgt.
Im Gegensatz zu den anderen eingangs erwähnten Lagerkategorien wa-
ren die Ghettos und jüdischen Konzentrationslager nur als Sammelstellen
der zu vernichtenden jüdischen Bevölkerung gedacht. Das Verdikt der
Vernichtung blieb immer unverändert trotz der Doppelfunktion der
ren die Ghettos und jüdischen Konzentrationslager nur als Sammelstellen
der zu vernichtenden jüdischen Bevölkerung gedacht. Das Verdikt der
Vernichtung blieb immer unverändert trotz der Doppelfunktion der
(490-491)
48 Vgl. Archiv des ZK der KP Lettlands, 101/6/20, Bl. 7.
49 Vgl. Sausnltis, Salaspils, S. 281.
50 Ozols, Widerstandsbewegung, S. 274.
51 Vgl. LVA, 69/2/73, Bl. 138.
52 Alle Angaben nach der Monographie Margers Vestermanis, Tä rikojäs ver-
mahts (Die Wehrmacht im Einsatz). Zur Rolle der Wehrmacht bei den Verbre-
chen der nationalsozialistischen Besatzer in Lettland, Riga 1973, Kapitel 6: Die
Todeslagcr der Wehrmacht, S. 116-146.
mahts (Die Wehrmacht im Einsatz). Zur Rolle der Wehrmacht bei den Verbre-
chen der nationalsozialistischen Besatzer in Lettland, Riga 1973, Kapitel 6: Die
Todeslagcr der Wehrmacht, S. 116-146.
53 Vgl. LVA, P-132/25/89, Bl. 11 f.
54 LVA, 83/1/8, Bl. 124.
55 »Vernas Balss« vom 10.7.1941.
56 Vgl. «Daugavpils LatvieSu Avize« vom 15.7.1941.
57 Vgl. EM. Nr. 24 vom 16.7.1941.
58 Vgl. ».Daugavpils Latvidu Avize« vom 30.7.1941.
59 LVA, 69/13/17, Bl. 163.
60 Vgl. LVA, P-132/30/31, Bl. 51 f.
61 Vgl. LVA, P-132/30/13, Bl. 47 f-
62 Vgl. LVA, P-132/20/14, Bl. 33.
63 Vgl. S. Jakub, V te dni (In jenen Tagen), in: L. Zilewitsch (Hg.), Jewreji v
Daugavpilsc (Juden in Daugavpils), Daugavpils 1993, S. 306.
Daugavpilsc (Juden in Daugavpils), Daugavpils 1993, S. 306.
64 LVA, 69/13/82, Bl. 27.
65 Vgl. LVA, 83/1/181, Bl. 9.
66 Vgl. LVA, P-132/30/22, Bl. 21.
67 Vgl. A. Vesterman, Survival in a Libau Bunker, in: Gertrude Schneider
(Hg.), Muted Voices, New York 1987, S. 163.
(Hg.), Muted Voices, New York 1987, S. 163.
68 LVA, 69/13/19, Bl. 28; »Tevija« vom 24.10.1941.
69 EM, Nr. 94 vom 20.9.1941.
70 Vgl. LVA, 69/13/19, Bl. 30 f.
71 Ebd.
72 Vgl. LVA, 998/1/1, Bl. 10.
73 Vgl. LVA, 69/1/19, Bl. 27.
74 Vgl. LVA, 1206/1/3, Bl. 263.
75 Vgl. LVA, 69/13/17, Bl. 489 und S. 626 f.
76 Vgl. LVA, 69/2/73, Bl. 113.
77 Vgl. Yisrsel Gutmsn u.3. (Hg.) Enzyklopädie des Holocsust, 3 Bde., Berlin
1993, Bd. 2, S. 728.
1993, Bd. 2, S. 728.
78 Vgl. LVA, P 132/30/433, Bl. 1-44.
79 »Mes 3psüdzam« (Wir klagen an). Dokumente, Riga 1964, S. 164.
80 LVA, P-132/26/13, Bl. 197.
81 Vgl. die Angaben in den Aufzeichnungen des ehemaligen Lsger-Sanitäters
A. Jskobson.
A. Jskobson.
82 Vgl. »Ventss Bslss« vom 30.3.1993.
83 Vgl. LVA, 69/2/47. Bl. 73.